Zwischen Pfeffi am Späti und den Kater nach der WG-Party passt immer noch eine geballte Faust. Es gibt wohl keine bessere Zeit für wütende, bis in die Knochen motivierte Politpunk-Bands wie Radio Havanna, die sich mit ganzer Kraft für politische und soziale Zwecke einsetzen. Ihr neues Album „Utopia“ setzt Zeichen – und was für welche. Eine Review, die sich nicht ganz entscheiden kann.
Ganz Europa schwankt nach rechts außen und erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sitzt eine offen rechtsextreme Partei im Bundestag. Dass die Hoffnung zuletzt stirbt will das Berliner Quartett mit seinem neuen, am 12. Januar erscheinenden Album „Utopia“ beweisen, das die Band über ihr frisch gegründetes eigenes Label Dynamit Records veröffentlicht. An dieser Stelle möchten wir auch noch einmal auf die großartige Aktion FAUST HOCH hinweisen, die sich ebenfalls stark gegen Rechts einsetzt.
Mit einem wuchtigen Gitarrenriff, das nach wenigen Sekunden von Drumsticks und Basstönen untermauert wird, taucht der Hörer unmittelbar mit dem Titeltrack in „Utopia“ ein, der auch mit etwas mehr Wumms auf Caspers „Hinterland“ hätte zu finden sein können. Aber wir tauchen ein. Wut im Bauch. Aufbruch. Veränderung. Zerstörung. Hoffnung. Träume. „NO FUTURE bröckelt vom Häuserblock.“ Utopia. Ein starker Opener, der Lust auf mehr macht – der regelrecht nach mehr schreit. Radio Havanna sind natürlich nicht nur utopisch, sondern auch ziemlich realistisch: König der gottverdammten Welt kann man sicherlich werden, aber die Hymne (ja, das Lied darf man so bezeichnen) „Früher oder Späti“ präferiert es, zunächst einmal ein Bierchen zu trinken; die Wünsche werden aufgeschoben und sollte man eben früher damit anfangen – oder landet eben im Späti. Wie Berlin eben so ist. Antithetisch zu diesem Track setzt sich übrigens der letzte Song, „Phönix“ , der fordert: „Steh auf/ Beweg Dein‘ Arsch/ Und gib Dich niemals auf/ Nimm mit, was nur geht/ Und schmeiß‘ alles and’re raus/ Was Du nicht zum Leben brauchst!“ (Spoiler: Mit einem Knall geht es dann aus der Platte, wie man vorhin in sie eingestiegen ist.)
Doch die Jungs sind primär natürlich eher politisch als Stammtischtrinkfreunde (wobei das Eine das Andere ja nicht ausschließt), wie sie rund um die Bundestagswahl 2017 bereits mit ihrer Aktion und dem gleichnamigen Titel „Faust Hoch“ bewiesen haben – und es bleibt nicht nur bei diesem, sondern Poppolit-Songs á la „Mein Name ist Mensch“ sprechen dieser Welt aus der Seele und sprechen unter anderem gegen die extreme Konsum- und Kapitalismusgesellschaft, wogegen „Homophobes Arschloch“ in jeder Hinsicht die Wahrheit ausspricht und ein bisschen sarkastisch gegen diese unwillkommene Gattung stichelt: „Onkelz auf dem Heck/ Aber Britney auf den Ohren“ . Ein Song, der nicht nur zig wichtige Messages („Knutsch doch, wen Du willst“) enthält, sondern auch zum Mitgröhlen auf Konzerten einlädt und das gesunde Maß an Pop mitbringt, das für Punk tragbar ist (wobei: wer will das eigentlich wem vorschreiben?) – und das diesen vielleicht sogar noch interessanter macht und eine breitere Masse erreicht. Wer auf die eher poppigen Songs hofft, wird mit „Hassliebe“ glücklich werden, was vielleicht jedoch der langweiligste Song der Platte ist – doch davon gibt es vielleicht auch wirklich nur den einen; doch „Schwarzfahrer“ steht schon dicht an, fehlt hier doch irgendwie der Pepp (erinnert melodisch teilweise ein bisschen an das Bruttosozialprodukt) und wühlt ein leidiges Thema auch nicht wirklich neu auf. Anders klingt das Ganze auf „Ich hab Zeit“ , denn hier preschen Radio Havanna nach vorn und vergleichen locker-flockig zwei völlig unterschiedliche Alltage. Alles nett, muss aber auch nicht und so wird „Utopia“ zu einer Mischung aus „geht so“ , „semi-geil“ und „mächtig“.
Mit ihrer neu gewonnen DIY-Freiheit greifen Radio Havanna also neu an: Album Sechs und trotzdem ist alles beim Alten, wenn auch weiterentwickelt. So muss das sein, so soll das sein. Ob das nun für alle was ist, wird die Zeit zeigen – echte Fans werden auf den Konzerten jedoch sicherlich euphorisch ausrasten. Einer unserer Anspieltipps neben denen, die sich bereits herauskristallisiert haben, ist ua. „Hinter mir“ . (Neben dem noch einmal hervorzuhebenden „Utopia“ , der besten Nummer der Platte.) Ob wir dieses Album am Ende des Jahres noch auf dem Schirm haben? Keine Ahnung, wird sich zeigen. „Faust Hoch“ sollte auf jeden Fall unser Motto bleiben und viele Textfetzen könnten Tattoos sein, das ist sicher. Und wer sich so gegen Rechts einsetzt, bekommt von uns sowieso ein Sternchen in sein Heftchen.
“Utopia“ von Radio Havanna | VÖ 12.01.2018 |
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