Lange Zeit war es still um Casper. Nicht ein Lebenszeichen im Jahr 2016 via Facebook oder Twitter. Kanäle, die der Musiker in der Vergangenheit lebhaft bespielte. Dann flackerte Mitte Juni plötzlich eine Öllampe auf seiner Website casperxo.com auf. Die Platte wurde angekündigt und kurz darauf auch wieder verschoben, weil der Künstler noch nicht zufrieden war – und jetzt erscheint „Lang lebe der Tod“ am 1. September. Endlich! Endlich? Hat sich das Warten wirklich gelohnt? Eine Rezension.
„Bist Du auch so verliebt?“ ist die erste Frage, die in dem Opener, der im letzten Jahr als erster Vorbote veröffentlicht wurde, gestellt wird. Ein fettes Feature mit Blixa Bargeld, Dagobert und Sizarr, das ebenfalls als Titeltrack UND Opener fungiert. Mit Karacho geht es also rein in die Platte des alten-neuen Cas‘ – und einen Moment hat man noch, bevor es endlich Neues zu hören gibt (zumindest für die, die Casper noch nicht auf Festivals gesehen haben): „Alles ist erleuchtet“ befasst sich thematisch mit der andauernden ‚Flüchtlingskrise‘, unnötigem Hass und Nationalismus. Untermauert wird der Song von einem Kinderchor und diversen Zeilen, die das unterstützen und das Spiel noch weiterspinnen: „Wieder Purge in Panem, macht Alarmanlagen an“ // „Den meisten Platz findet Hass im Gedränge“ // „Check den Instagram-Stream, fett mit Klicks was verdien’n/ Bibi mit Dagi Bee, live im Kriegsgebiet mit Tipps für Teens“ // „Jedes Outfit per Mausklick, kauf auf dem Link das Parfüm/ Wenn schon im Mittelmeer mit Schiffen her, dann bitte mit Stil/ Satire wirkt doch nur von unten arrogant“ Unter Berufung auf das moderne Internetzeitalter und die Leichtigkeit, selbst zum Star zu werden zu können, übt der Rapper Kritik an diesem Phänomen aus – mit ziemlich krass-deutlichen Worten, die erst einmal verstanden werden müssen und hoffentlich ein gezieltes Publikum ansprechen. Ein absolut phänomenaler Start in ein Album, das man ab dieser Stelle schon ordentlich feiern darf, weil alles genau durchdacht ist. CASPER, meine Damen und Herren, Casper ist zurück – und mit was für einem Ritterschlag auf sein eigenes Haupt!
Es gab vorab krachende und knallende Songs wie „Sirenen“ oder „Keine Angst“ (feat. Drangsal), die das Blut in den Adern nach wie vor extrem gefrieren lassen, weil sie an Krassheit kaum zu überbieten sind – von diversen Musikzeitschriften zerrissen, können wir jenen Vorab-Tracks nur eine starke Liebe aussprechen: Diese Platte ist vielleicht Caspers stärkste, ohne den Vorgängern auch nur annähernd etwas absprechen zu wollen – besonders „Hinterland“ und „XOXO“ werden weiterhin einen Platz zwischen den besten Alben des Landes haben, vermischt dieser Künstler doch Genres miteinander wie kein Zweiter – und sein krasses Debüt „Hin zur Sonne“ bleibt ein Rapmeisterwerk der Extraklasse. „Lang lebe der Tod“ hingegen ist ein Aufschrei und widmet sich aktuellen Thematiken – sei es Homophobie; ständige Beobachtung (ein Lied, das Presse und Fans an den Pranger stellt); diverse Sorgen und Ängste; der Social-Media-Wahnsinn oder Politik; dieses Album präsentiert einen Rundumschlag. Neben Drangsal, Blixa Bargeld, Dagobert und Sizarr gibt es ein unglaublich starkes Stück mit Ahzumjot und Portugal. The Man („Lass Sie gehen„), das Dich gegen die Wand klatschen wird. Apokalyptisch geht es auf „Morgellon“ zu – und auch diese Nummer hinterfragt und kritisiert die verschiedensten Alltagsgeschehnisse auf eine kluge Art und Weise. Die tragische Krankheit Depression findet im Song „Deborah“ ihren Platz, der Verlauf wird liebevoll und ernsthaft erklärt und begleitet, umschlungen von gefühlvollen Melodien und diversen Wiederholungen, um auf das einsame Schicksal aufmerksam zu machen; ein Lied, das absolut unter die Haut geht und Gänsehaut auf allen Ebenen bringt. Ein Album, das seinen Weg geht, Song für Song, mit „Lang lebe der Tod“ krass beginnt und durch „Flackern, Flimmern“ hymnisch und doch mit DEM nötigen Paukenschlag sanft und bestimmend beendet wird. Ein Kreis, der zick-zack fährt, um sich dann doch rund zu schließen und den Hörer mit einem Staunen zurückzulassen.
Um die Frage des Anfangs noch einmal überaus deutlich zu beantworten: ENDLICH! JA! DAS WARTEN HAT SICH GELOHNT! Casper hat mit „Lang lebe der Tod“ nicht mehr und nicht weniger als eine der besten Platten des Jahres veröffentlicht. Krach! Emotionen! Krach! Emotionen! Wahrheit! Das ist das, was Casper mit diesem Album schafft: Er hält sich und uns, der ach-so-feinen Gesellschaft, einen Spiegel vor. Das ist der Mut des Typen, der vor einem Jahr die Blicke, Aufmerksamkeit und böse Kommentare auf sich zog, als er das Album plötzlich um ein Jahr verschob, weil er noch nicht zufrieden war – eben genau dieser Mut wird absolut belohnt, denn jetzt erscheint „Lang lebe der Tod“ zur absolut passendsten Zeit und zeigt ganz nebenbei eine dermaßene Entwicklung, die gewürdigt werden muss. Lasst diesen Typen bitte immer sein Ding machen, lasst ihm seine künstlerische Freiheit, denn diese 11 Tracks beweisen: Manchmal lohnt es sich wirklich, nochmal etwas zu verändern, von dem man zunächst dachte, dass es richtig ist – und manchmal lohnt es sich auch, zu warten.
“Lang lebe der Tod“ von Casper | VÖ 01.09.2017 |
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