Henning May ist seit Jugendtagen mit Christopher Annen und Severin Kantereit befreundet, teilweise lebt man noch heute gemeinsam in einer Jungs-WG. Zusammen sind sie gemeinsam mit dem 2014 dazu gestoßenen Malte Huck die Band AnnenMayKantereit und verkaufen in schöner Regelmäßigkeit die Live-Spielstätten des Landes aus – ihre aktuell von Landstreicher Booking gebuchte Tour ist beispielsweise schon längst komplett ausverkauft, so natürlich auch der gestrige Tourauftakt im FZW in Dortmund. Wir waren dabei, erzählen im Live–Review, wie es war und zeigen euch natürlich Konzertfotos!
Seit weit über einem Jahr wird nun in immer größer werdenden Kreisen über diese junge Band gesprochen. AnnenMayKantereit verkaufen Tourneen aus, veröffentlichten über ihren eigenen Band-Shop eine EP mit dem Titel „Wird Schon Irgendwie Gehen“ und begeistern auf den großen Festivals des Landes das Publikum – seit dem 18. März steht endlich auch ihr Debüt-Album „Alles Nix Konkretes“ in den Plattenläden und auf Platz Eins der deutschen Albumcharts. (Unsere CD-Rezension könnt Ihr hier nachlesen!) Von Straßenmusikern zu Chartsanführern, eine der schönsten deutschen Pop-Geschichten der 2010er-Jahre.
Auf dem Schwarzmarkt werden Tickets für die längst ausverkauften Konzerte der Kölner Band AnnenMayKantereit seit Wochen weit über dem Ursprungspreis gehandelt und glücklich sind all diejenigen, die ihre Tickets rechtzeitig vor dem großen Boom zum regulären und sehr fairen Preis ergattern konnten.
Den Einstieg in den Abend gibt die Band Lola Marsh aus Tel Aviv pünktlich um 20 Uhr, die vom Nylon Magazine einst als ‚meet the Middle East’s coolest alt-folk band‚ angepriesen wurden. Eine (Glam-)Rockröhre vom Allerfeinsten, die selbst zu Ukulele, Gitarre und Tamburin greift und ihre zarte und doch knallharte Stimme perfekt einzusetzen weiß, wird von vier Herren musikalisch begleitet – Yael und Gil sind das eigentliche Duo, doch die anderen Jungs gehören ebenfalls fest zur Live-Band, wie man schnell merken kann: Ein eingespieltes und harmonisches Dreamteam auf der Bühne. In ihrem gut 30-minütigen Set präsentiert die Band neben der erfolgreichen Single „You’re Mine“ auch noch weitere Stücke, die unter anderem auch auf der gleichnamigen Debüt–EP (seit 29.01. erhältlich) erschienen sind. Frontfrau Yael animiert das Dortmunder Publikum während des Titels „You’re Mine“ zum Mitsingen, bevor sie mit „Wishing Girl“ einen mega Song hinbrettern. Nach fünf Songs verabschieden sich Lola Marsh mit den Worten „…and right after us: the sexy AnnenMayKantereit“ und einem dicken Grinsen von der Bühne!
Auf die Sekunde pünktlich um 21 Uhr stehen plötzlich ohne Intro und ohne jeglichen Schnickschnack die heimlichen Stars des Abends – Christopher Annen, Henning May, Severin Kantereit und Malte Huck – auf der Bühne und vor ihnen ein durchmischtes Publikum, aus 1.300 Menschen bestehend: jung, alt, introvertiert, extrovertiert, jubelnd, ruhig, geschminkt, ungeschminkt, mit Bier, ohne Bier. Nur eines haben alle gemeinsam: Sie sind sofort alle begeistert von AnnenMayKantereit, die mit dem Song „Jeden Morgen“ in ihren Tourauftakt starten. Die Zeilen „Ich stelle uns mal kurz vor…“ münden schnell im Dauergekreische, das vorrangig aus weiblichen Mündern kommt, was Henning schmunzelnd mit einem schüchternen „Das ist schwierig! Also das Gekreische ist auf jeden Fall…“ kurz zu kommentieren beginnt und dann doch so im Raum stehen lässt. Mit einer EP und einem Debüt-Album kann man schon einen ganzen Abend füllen, vor allem, wenn man neben den EP- und Albumsongs dann auch noch ein legendäres Cover („Sunny“) einbaut, das die Band laut eigenem Wortlaut bisher bei jedem Konzert gespielt hat: „Das nächste Lied spielen wir schon immer. Wir haben das glaube ich bis jetzt auf jedem Konzert gespielt, is‘ nur leider nicht von uns!“, läutet Schlagzeuger Sevi, wie er von seinem WG-Mitbewohner und Bandkumpel Henning genannt wird, das Cover ein.
‚Weniger ist mehr‘ scheint hier definitiv die Devise zu sein: Die Jungs stehen offensichtlich gar nicht auf Schnickschnack und stehen eher schlaksig und schluffig da. Mit den selben Adidas-Schuhen, die sie auch vor zwei Jahren schon trugen. Aber genau das macht sie so sympathisch und nahbar, weil sie als Kumpeltypen und nicht als Rockstars vor den Fans auf der Bühne stehen. Männer vieler Worte sind sie ebenfalls nicht und kommunizieren lieber durch die Texte der Songs mit den aufmerksamen Zuhörern, wobei es zwischendurch doch immer ein paar Insider-Infos gibt: „Wir suchen unsere Albumtitel immer aus Songzeilen. Der nächste Song ist der, der den Albumtitel beinhaltet!“, stellt Henning einleitend fest, bevor „Es Geht Mir Gut“ ertönt. Auch über „Mir Wär‘ Lieber, Du Weinst“ erfahren die Konzertgänger, dass es sich um ein Lied handelt, dass bei der Person, für die es geschrieben wurde, nicht so gut ankam. Als Dank für ihre Lockerheit und Bodenstandhaftigkeit singt fast das gesamte FZW bei der Fernbeziehungsballade „3. Stock“ lautstark mit, was zwischendurch immer wieder ein breites Grinsen in die Gesichter der Jungs zaubert.
Doch nicht nur die Mädchen möchten an dem Abend die Aufmerksamkeit der Herren haben, auch einige männliche Charaktere scheinen einen ausgeprägten Aufmerksamkeitsdrang zu haben: „Hau mal einen raus, yo“, ruft eine laute Stimme in einem leisen Moment mitten aus der Menschenmasse – doch auch dies wird von Henning nicht unkommentiert gelassen, sondern mit einem lachenden „Der war nicht schlecht“ beantwortet. Männerkommunikation unter sich. Apropos: Es ist schön zu beobachten, wie kumpelhaft die Band untereinander und miteinander umgeht. Nicht nur in dem Song „Mein Mitbewohner“ auf textlicher Ebene, sondern auch mit Blicken, wenn Henning zwischendurch in der Melodie versinkt und Christophers Gitarrenkünste zu bewundern scheint. Ein Highlight des Abends ist definitiv das Songfragment „Du Bist Überall“ – ein Text, der sich über Smartphones beschwert und insbesondere über jene Leute, die sich auf Konzerten lieber mit diesem technischen Gerät beschäftigen anstatt der Band zuzuhören, die gerade vor ihnen steht oder sie sogar beim Singen von Liebesliedern filmt: „Das guckst Du Dir eh nie wieder an“ – man sei beim Konzert, um die Band zu sehen und nicht um den Freunden davon zu erzählen, um Spaß zu haben und nicht um andere mit dem Gerät zu belästigen; es sei nur wichtig, der Band die Aufmerksamkeit zu schenken und zu wissen, wie teuer das Bier ist – „Bier trinken und tanzen“ YES! Inmitten des Songs gibt es noch zahlreiche, sehr laute und zustimmende Jubelzurufe, auch wenn sich manch einer im nächsten Moment schon wieder beim Aufnehmen erwischt. (Eine nette Randkommunikation dreht sich noch um den Bierpreis [4,20€ ruft ein Mädchen – Henning sagt grinsend ‚Oh! … Dann beim nächsten Mal doch lieber der Flachmann.‚ und ehrt die Dame mit den Worten dafür, dass sie dann trotzdem erschienen ist.]
Insgesamt hat das Konzert eine Länge von circa 70 Minuten, in denen die Band auch die drei Zugaben „Barfuß Am Klavier“ (Henning May solo), „Länger Bleiben“ und „21, 22, 23“ spielt. Zuvor gab es natürlich auch noch den aktuellen Hit „Pocahontas“ und das allseits beliebte „Oft Gefragt“, einen Song für Hennings alleinerziehenden Vater. Ein wunderbarer Konzertabend, bei dem im Publikum oft mitgesungen, mitgetanzt und mitgelacht wird – und immer wird den wahren Worten gelauscht, über die sie singen. Indie-Pop-Rock-Folk von Normalo-Jungs aus der Nachbarschaft at its best!
Hier geht’s zur Foto-Galerie AnnenMayKantereit / Lola Marsh, 30.03.2016 Dortmund.