„Am Ende des Tages wollen wir uns auskotzen“, sagt Sänger Chris über FJØRT. Dazu hatte das Trio in den letzten Jahren reichlich Gelegenheit. Wurden für das erste Album „D’accord“ noch jede Menge bemühte Vergleiche herangezogen, um die kolossale Soundwelt des Aachener Trios zu erfassen, heißt es kaum zwei Jahre später schlicht und ergreifend: FJØRT klingen nach FJØRT. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, hat in den letzten vier Jahren einen der erstaunlichsten und wichtigsten Werdegänge der deutschen Post-Hardcore-Welt ignoriert. Und wird vom zweiten Album „KONTAKT“ eine denkwürdige Lektion in klanggewaltigem Exorzismus erteilt bekommen. Eine Rezension.
Ruhig bleiben ist schwierig, wenn man der Musik von FJØRT lauscht, wobei lauschen schon ein viel zu besänftigendes Wort für den unfassbaren Krach ist, den die Herren rund um Frontmann Chris sowohl musikalisch als auch inhaltlich machen. Der Vorbote „Lichterloh“ ging noch Ende 2015 wie eine weitreichende Welle durch die Netzwelt – ein sehr gutes Musikvideo, ein sehr gut zitierfähiger Text (‚Bitte sei für mich, was ich bin für dich – mit diesem Satz geb ich auf, doch ihn kapieren wirst du nicht – denn dein Gott bist du selbst‘) und vor allem aber auch bombastische Töne, die dich vom Schlaf abhalten werden, dich auch in wütende Trauer versetzen werden.
Schlafen sollst du aber auch wirklich nicht. Denn FJØRT nehmen Stellung, befassen sich mit Themen. Bedrängend, eindringlich. Aufgeweckt, aufweckend. Die laute Musik unterstützt den lauten Inhalt. Den Inhalt, der laut werden muss – den man rausschreien muss. Schmerzhaft schmerzlich! Und da sind FJØRT einigen Post-Hardcore-Bands weit voraus: Die Aachener setzen Screamo ein, um aufzurütteln und nicht (nur), um zu schreien. „Prestige“. Ein Song, der gewaltig ist, der betroffen macht.
„Paroli“ ist eine sehr erwähnenswerte Nummer der Platte, denn es ist eine direkte Kampfansage gegen die ‚braune Pest‘ aka Pegida & Co. (‚Auf 2 von denen kommen 10 von uns‘). Die Zeile „Haltet stand!“ beschreibt „Paroli“ am besten, denn die Aussage ist der Aufschrei und untermauert die Tatsache, dass wir Menschenhass Paroli bieten und vor allem wieder menschlicher werden müssen. Dem schließt sich „Abgesang“ an, ein Track, der kurz nach den Attacken auf Charlie Hebdo Anfang 2015 direkt in Paris entstanden ist: „Am Tag, als das Hauptquartier von Charlie Hebdo von religiösen Fanatikern gestürmt wurde, war ich am anderen Ende der Stadt. Menschen töten mit der Motivation, einem übersinnlichen Wesen gerecht zu werden, ist etwas, dass mir niemals in den Kopf gehen wird. Diese Leute haben keine Menschlichkeit mehr an sich“, erinnert sich Chris an das Entstehen.
FJØRT ist nicht nur die Band, die dich vom Schlafen abhalten wird, FJØRT ist auch die Band, die dir Schmerzen zufügt und dich zum Nachdenken bringen wird – sie sprechen in ihrer und in unserer Sprache und schreien sehr laut und emotional heraus, was sie fühlen und was gesagt werden will und vor allem aber was gesagt werden muss. „Kontakt“ liefert unzählige Zitate, die unglaublich wichtig sind. Vor allem aber ist „Kontakt“ als Gesamtwerk zu betrachten, wenn es auch kein Konzeptalbum ist. Würde man in Deutschland – wie im UK den ‚BBC Sound Of …‘ – küren, dann würden FJØRT mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit 2016 gewinnen. „Kontakt“ ist nicht nur das Sprachrohr einer Generation, sondern vielmehr das Sprachrohr einer ganzen Gesellschaft. Man muss übrigens absolut kein Fan von Post-Hardcore oder Screamo sein, um diese Platte zu lieben, denn Kontakt ist als Verständigung und die hier kontinuierlich ausgedrückte Wut als bester Überlieferer zu sehen.
“Kontakt“ von FJØRT | VÖ 22.01.2016 | als Download, CD und Vinyl!