AUFBAU WEST liveMan stelle sich vor es ist November 2010; man stelle sich vor Musikdeutschland entdeckt feisten, deutschsprachigen Biedermann-Pop mit erhobenem Zeigefinger für sich, als hätte es Hamburg nie gegeben. Bleiben genau zwei Möglichkeiten, wobei der Coverband-mit-Autonomieanspruch den vier Boys von Aufbau West, die ihre Zentralen in Geseke bei Paderborn und Münster aufgeschlagen haben, irgendwie unangenehm aufstößt. Eigentlich egal was die anderen machen. Und sind das jetzt die Indiejungs, die sich am Hip Hop versuchen? Können andere entscheiden! Wir waren beim fabelhaften Touraufakt in Oberhausen dabei!

Verkehrschaos in NRW zum Tourauftakt von Aufbau West in Oberhausen. Das wäre doch mal eine Schlagzeile gewesen, die das Druckluft sicherlich noch um ein paar Menschen voller gemacht hätte. Aber wenn wir mal ehrlich sind: Es hätte gar nicht unbedingt voller sein müssen, denn die Pottpoeten und Aufbau West haben das Publikum auch so zum Tanzen, Feiern, Springen, Lachen und Mitsingen angeheizt. Ha!

Es ist kurz vor 20:30 Uhr, als erst der DJ und dann nach und nach die Mitglieder der Truppe Pottpoeten aus Mülheim an der Ruhr auf die POTTPOETEN liveBühne stürmen. Und wie. Jeder mit seinem eigenen Rap-Part. Was ein Auflaufen. Finden wir gut, spricht uns irgendwie spontan direkt an. Eine durchgemischte Truppe, bei der man optisch erst einmal keinen Zusammenhang sieht, die jedoch durch ihre Musik offenbar absolut verbunden sind. Das hört man, das merkt man. Die Jungs stellen Tracks aus ihrem aktuellen AlbumEpos“ vor und wirken dabei wirklich wie ein eingespieltes Team, wie beste Kumpels. Romantisch gesagt: Sie harmonieren. Zwischen den Zeilen finden die Rapper immer wieder Zeit für ein smartes Lächeln. Das sitzt. Sie versuchen, das Publikum zu animieren und freuen sich über jeden Arm, der tatsächlich mit in die Luft geht. Ein gelungener Support-Auftritt!

Nicht viel Zeit ist vergangen, als man die Aufbau West Jungs auf der Bühne sieht: Rumwitzeln, lächeln, aufbauen, tänzeln. Wie? Tänzeln? Wozu denn? Naja. Sie grooven teilweise sogar richtig ab und das zur Platte „Blacc Hollywood“ von Wiz Khalifa. Großes Kino, bevor die Band überhaupt offiziell mit ihrem Set angefangen hat. Aber das wird noch größeres Kino, also ruhig weiterlesen, denn um 21:30 Uhr steht die Band schon auf der Bühne und eröffnet den Abend mit ihrem Tourtitelsong „Zweitbester“ als Intro, um dann mit dem älteren Song „Zeit zu verstehen“ kurz die frühere Zeit einzuläuten. Irgendwie wirkt es so, als würde es dann mit Lied 3 so richtig losgehen, als seien sie dann eingespielt, um mit „Lichter aus“ so richtig abzugehen.

EAUFBAU WEST liveure Eltern sind bestimmt alle sauer, weil ihr bei dem Wetter das Haus verlasst, um irgendso’ne hässliche Boyband in Oberhausen zu sehen!„, scherzelt Frontmann Florian Berres bei der Begrüßung in seiner sympathischen Säuselstimme. Zwischendurch erzählt er immer wieder ein bisschen was – seien es Details zu Songs oder Geschichten, die eben gerade irgendwie passen. „Es ist das erste Mal, dass wir mit der Band hier in Oberhausen spielen„, lässt er das teilweise zurückhaltende und teilweise tanzende und feierende Publikum wissen. Offenbar bringt das erste Mal auch in dem Fall eine gewisse Aufregung mit, sodass Keyboarder Martin Kuntze sich bei dem Intro zur aktuellen Single „Vietnam“ prompt verspielt: „Das machen wir an der Stelle immer so, um süß und charmant zu wirken„, lächelt Flo den Fauxpas gekonnt weg – und alle mit ihm. Ohne Intro geht’s beim zweiten Anlauf weiter, gleichzeitig auch ohne Fehler. „Vietnam“ wirkt live genauso großartig wie auf der Platte und überhaupt tun Aufbau West das: Großartig wirken. Sie tun das, was sie da tun, mit Leidenschaft. Ohne großes Nachdenken, ohne großes Perfektwirkenwollen. Und sie tun’s trotzdem. So sympathisch und süß und charmant, wie sie vielleicht insgeheim sogar wirken wollen, wirken sie auch, was sicher nicht zuletzt an der ehrlichen Art von Berres liegt.

Wahrscheinlich werden sie niemals die Boyband sein, die erfolgreich ist und die Herzen aller Mädchen bricht. Und sehr höchstwahrscheinlich ist das das Beste, was ihnen passieren konnte – denn sie wollen echte Musiker sein, sie wollen Kritik ausüben, sie wollen sich nicht anpassen und genau das alles schaffen sie mit ihrer perfekten nicht-perfekten Art. Ihr Song „& das ist erste der Anfang„, der ja ein paar Musikerkollegen Seitenhiebe gibt, wird mit einem kleinen „Everybody-Backstreet-Boys-Interlude eingeleitet – vielleicht als Anspielung auf die erfolgreichen Boybands. Vielleicht auch einfach nur aus Spaß an der Freude. Denn aus jenem Grund scheinen Aufbau West Musik zu machen – und AUFBAU WEST livevor allem merkt man immer wieder, dass sie es auch noch MIT Spaß an der Freude tun.

Doch sie können nicht nur laut. Mit den Worten „Das nächste Lied ist eine Herzensangelegenheit. Für den neuen Freund von meiner Ex-Freundin. Sein Vorname ist Huren, sein Nachname ist Sohn„, leitet Flo den Titel „So große Gegenstände“ noch recht freundlich ein. Für den Song greift er extra zur Akustikgitarre. Hach. Aber lange können sie ruhig nicht sein: „Das nächste Lied ist auch so unsere Kraftklub-Parole“ wird „Deine Mutter (Du Armer)“ vorgestellt. Im Instrumentalteil des Songs dürfen alle zu Drumsticks greifen und irgendwo melodisch rumklopfen. „Jetzt ham wa euch!„. Dass nicht immer alle mitmachen, findet Flo offenbar nicht gut: „Alle Hände hoch! Vorher machen wir nicht weiter„, droht er, „Das können wir. Wir sind auf Headline-Tour, es spielen nicht Jennifer Rostock gleich!„. Recht hat er. Und es funktioniert. Zum Abschluss wirbeln die Bandmitglieder Florian, Sebastian, Martin und Johannes alle mit jeweils zwei Handtüchern wie verrückt rum: „Wir beginnen, womit wir angefangen haben, denn wir werden immer Zweitbester sein!„. So ist es. So wird sein. Und so ist es gut. Denn Aufbau West sind die besten Zweitbesten, die wir kennen.

Für die Zugabe tragen die Herren aus dem Dörfchen Geseke noch einmal richtig auf. Ein Lied, das fast alle mitsingen können. Zumindest wir kennen es in- und auswendig. „Du trägst keine Liebe in Dir“ von ECHT erklingt. Nicht mit Kim Frank. Mit Florian Berres. „Wer kannte das alles, wer kannte es nicht?„, interessiert auch den Frontmann. Ein kurzes Ratespiel, wann der Song erschien, und schon gewinnt die richtige Antwort (1999) ein bisschen Merch. Cool! Die weiteren Zugaben „Kiloweise Realness“ und „Die sicher schlimmste Wahl“ sind viel zu schnell vorbei, womit dann auch ein großartiges Tourauftaktskonzert endet.

Aufbau West sollte man sich live unbedingt angucken und viel mehr sollte man sich unbedingt die Platte „Zweitbester“ zulegen. Diese Band macht einfach Bock und bringt den ultimativen Spaßabend. Unbedingt mit Freunden hingehen, ’n Gläschen trinken und abgehen.

 

(c) Fotos: R. Bektas, C. Söhnchen

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